Neuzeit

Neuzeit

(1789)

Die Französische Revolution von 1789 läutete das Ende der Fürstenherrlichkeit in dem kleinen salmkyrburgischen Fürstentum, zu dem Sien gehörte, ein. Die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurden von den Revolutionstruppen in das in viele Einzelstaaten zersplitterte Deutschland getragen. Bis an das linke Rheinufer erstreckte sich bald die ‚Republique francaise‘. In Sien wurde am 10. März 1798 der Freiheitsbaum errichtet. Jetzt waren auch die Siener keine Leibeigenen mehr, sondern freie französische Staatsbürger. Die Güter des letzten salm-kyrburgischen Fürsten Friedrich III., Dominiks Neffe, der bereits 1794 in Paris unter dem Fallbeil gestorben war, wurden eingezogen und meistbietend versteigert. Auch sein Siener Jagdschloss bekam einen neuen, bürgerlichen Besitzer. 16 Jahre währte die französische Zeit (1798-1814), in der Sien zu einer ‚Mairie‘ für die umliegenden Gemeinden erhoben wurde.Die neu zu Frankreich gekommenen Gebiete diesseits des Rheins wurden nach französischem Muster in Departements, Arrondissements und Kantone eingeteilt. Sien, in salm-kyrburgischer Zeit Sitz einer Amtsschultheißerei, wurde zu einer ‚Mairie‘, d.h. zu einer Bürgermeisterei erklärt. Sie bestand aus den Ortschaften Sien, Sienhachenbach, Oberreidenbach, Dickesbach, Kefersheim, Illgesheim, Hoppstädten, Ober- und Unterjeckenbach. Die Mairie Sien gehörte zum Kanton Grumbach, zum Arrondissement Birkenfeld und zum Saar-Departement mit dem Hauptort Trier.


Sien blieb auch nach den Befreiungskriegen, als es zum kleinen sachsen-coburgischen Fürstentum Lichtenberg mit dem Hauptort St. Wendel zugeordnet wurde, Bürgermeisteramt und auch nach der Übernahme des Gebietes durch die Preußen 1834. Zur Bürgermeisterei Sien gehörten in sachsen-coburgischer Zeit die Ortschaften Sien und Sienerhöfe, Sienhachenbach, Schmidthachenbach, Mittel- und Oberreidenbach, Weierbach, Dickesbach, Zaubach, Kefersheim, Wickenhof, Ehlenbach, Wieselbach, Kirchen-, Mittel- und Nahbollenbach. In dieser Zusammensetzung blieb die Bürgermeisterei Sien auch in preußischer Zeit bestehen, in der auch das ‚Amtshaus‘ gebaut wurde. Mit den neuen Landesherren setzte allmählich ein wirtschaftlicher Aufschwung ein, der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt fand und im Volksmund mit dem Begriff ‚das Goldene Zeitalter Siens‘ treffend umschrieben wird. Viele Häuser städtischen Charakters und auch die neugotische katholische Kirche, mit deren Errichtung 1892 das Simultaneum endete, sind noch heute Zeugen des damaligen Wohlstands.

Durch den Amtssitz bedingt, entwickelte sich in Sien im 19. Jahrhundert eine wirtschaftliche Blütezeit. Hohe Steuereinnahmen, eine rege Bautätigkeit sowie eine ansteigende Bevölkerungszahl legten Zeugnis davon ab. 1838 errichtete die evangelische Kirchengemeinde aus eigenen Mitteln ein neues Schulhaus. 1871 zählte Sien um 600 Einwohner, von denen etwa 70 jüdischer Abstammung waren. Im Dorf gab es 2 Kaufhäuser, 2 Metzgereien, 2 Bäckereien, 3 kleinere Läden und 4 Gasthäuser sowie eine Brauerei. Außerdem waren eine größere Strickerei, eine Ziegelei und ein Bauunternehmen hier ansässig. Auch zahlreiche Handwerker wie Schneider, Schuster, Schreiner, Anstreicher, Wagner und Schmied fanden in Sien ihr Auskommen. Die Gemeindefinanzen erlaubten 1868 den Bau eines neuen katholischen Schulhauses, 1889 den Bau eines Arzthauses. Die Dorfstraßen wurden durchgehend gepflastert, die Beleuchtung durch neue Laternen verbessert. Eine moderne Feuerspritze und eine Dampfdreschmaschine wurden angeschafft, 1902 die Dorfbrunnen durch eine moderne Wasserleitung ersetzt. Weithin bekannt war Sien durch seine Kram- und Viehmärkte an Oster- und Pfingstdienstag. Noch größeren Zuspruch fand der ‚Michelsmarkt‘ im Herbst. An diesen Tagen standen Buden und Stände vom Ortseingang an bis hinauf zur ‚Hohl‘ zu beiden Seiten der Dorfstraße. Auf dem Platz an der ‚Pump‘ wechselten Schweine und Rindvieh den Besitzer. Händler und Besucher kamen in Scharen von überall her.


Seit der Wende zum 20. Jahrhundert aber geriet Sien vor allem durch den Bau der Nahe- und Glantaleisenbahnen allmählich ökonomisch ins Abseits. Als Folge dieser Entwicklung musste 1909 der Sitz der Amtsbürgermeisterei an Weierbach abgegeben werden. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die Einrichtung des Truppenübungsplatzes Baumholder im Jahre 1938, wodurch fast 4000 Menschen ihre Heimat verlassen mussten und Sien einen Großteil seines Hinterlandes einbüßte, trugen weiter dazu bei, dass der Ort seinen nicht unbedeutenden wirtschaftlichen und politischen Rang verlor, den er auf regionaler Ebene durch Jahrhunderte innehatte. Die einst gut besuchten Kram- und Viehmärkte schliefen ein und die Einwohnerzahlen gingen kontinuierlich zurück.


Heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, spielt Sien wie im gesamten Jahrhundert zuvor im hiesigen Raum politisch noch immer eine nur untergeordnete Rolle, was sich nicht zuletzt in seiner geographischen Randlage in der Verbandsgemeinde Herrstein und im Kreis Birkenfeld, wozu es verwaltungsmäßig gehört, widerspiegelt. Die wirtschaftliche Abwärtsentwicklung allerdings wurde durch die Ansiedlung von modernen Industriebetrieben aufgefangen, so dass Sien heute zumindest in dieser Hinsicht wieder ein wenig vom Glanz seines Goldenen Zeitalters zurückgewonnen hat.


Auch die kleine Jüdische Gemeinde in Sien erlebte im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit, was sich architektonisch im Bau einer Synagoge um 1845 ausdrückte (Das Bild rechts zeigt die Synagoge in einem Zustand des Verfalls, nachdem die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder schon so stark zurückgegangen war, dass die Synagoge nicht mehr genutzt werden konnte).

Doch trotz der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung entschlossen sich damals zahlreiche Siener, ihren Heimatort für immer zu verlassen und vor allem in Amerika ihr Glück zu suchen Erste schriftliche Zeugnisse für einen dauerhaften Aufenthalt von Juden in Sien stammen aus dem 18. Jahrhundert. In einem auf den 28. März 1760 datierten ‚Verzeichnis deren in dem hochfürstlichen salm-kyrburgischen Ort Syen unter hochfürstlichem Schutz wohnenden Juden‘ werden die Namen von 5 jüdischen Haushaltsvorständen aufgeführt. 1808 wurden in Sien 42 jüdische Personen gezählt. Ihren zahlenmäßig höchsten Stand erreichte die Jüdische Gemeinde Sien im Jahre 1852 mit 72 registrierten Einwohnern. Die gesamte Einwohnerzahl von Sien betrug damals 530. Der jüdische Bevölkerungsanteil machte damals also über 13 Prozent aus. Tagelöhner, Metzger, Krämer, Viehhändler oder ganz allgemein Handelsmann sind die Berufsbezeichnungen, die wir in Urkunden immer wieder für Siener Juden antreffen. Siener Handelsjuden waren als Schrott-, Leinen- und Hanffaserhändler unterwegs. Die überwiegende Mehrheit aber betätigte sich als Viehhändler. Als solche waren sie weithin bekannt. In dem Maße, wie die Zahl der jüdischen Bevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunahm, ging er in der zweiten Hälfte wieder zurück. 1895 wohnten nur noch 36 jüdische Personen in Sien, 1925 gar nur noch 10. Die letzten 6 in Sien wohnenden Juden wurden 1942 von den Nazis deportiert und ermordet.


Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert waren es zwei Familien, zwei Familiendynastien, aus denen sich die Jüdische Gemeinde Sien überwiegend zusammensetzte: die Familie Rothschild und die Familie Schlachter. Natürlich gab es immer wieder auch andere jüdische Familiennamen in Sien. Aber es waren zumeist die Töchter dieser beiden Familiengeschlechter, die durch Heirat neue, fremde Namen wie Kaufmann, Stern, Stricker oder Herz nach Sien brachten. Nur noch wenige Zeugnisse jüdischer Kultur, darunter der jüdische Friedhof, ein kleines Kellerquellenbad (Mikwe) und das Geschäftsbuch eines jüdischen Viehhändlers, erinnern heute an die ehemalige Jüdische Gemeinde.

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